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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 02.11.2007
Aktenzeichen: 2 Ws 133/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 140
StPO § 464 Abs. 3 S. 1
StPO § 467 Abs. 3 S. 2
1. Die Rechtsstellung des Pflichtverteidigers endet mit dem Tod des Angeschuldigten.

2. Stirbt der Angeschuldigte vor rechtskräftigem Verfahrensabschluss, so fehlt dem ehemaligen Verteidiger die Beschwerdebefugnis bezüglich noch ergangener Auslagenentscheidungen.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT 2. Strafsenat Beschluss

2 Ws 133/07

In der Strafsache

hier betreffend Auslagenbeschwerde

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg am 2. November 2007 durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner die Richterin am Oberlandesgericht Schlage den Richter am Amtsgericht Stöber

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des ehemaligen Verteidigers Rechtsanwalt Kratzin gegen die Auslagenentscheidung des Beschlusses des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 12, vom 5. April 2007 wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat dem Angeschuldigten A. mit zum Landgericht Hamburg erhobener Anklage vom 7. November 2005 zur Last gelegt, in Hamburg und anderen Orts in der Zeit vom 1. Februar 2000 bis 31. Dezember 2004 durch drei Straftaten 1. einen gewerbsmäßigen Betrug, 2. durch dieselbe Handlung einen schweren Menschenhandel ( § 181 Abs. 1 Nr. 2 StGB a. F.), einen Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, eine Vergewaltigung, ausbeuterische und dirigistische Zuhälterei sowie einen Verstoß gegen das Ausländergesetz/Aufenthaltsgesetz, 3. einen Versuch des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung begangen zu haben. Der Beschwerdeführer war ( zuletzt )nach § 140 Abs. 1 Nr. 1, 2 StPO bestellter Verteidiger des vormaligen Angeschuldigten. Am 11. Dezember 2006 ist der Angeschuldigte verstorben. Mit Beschluss vom 5. April 2007 hat die Große Strafkammer des Landgerichts Hamburg die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt und die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt; von der Überbürdung der notwendigen Auslagen des Angeschuldigten auf die Staatskasse hat die Strafkammer unter Bezugnahme auf § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO abgesehen, weil das Hauptverfahren aufgrund gegen den Angeschuldigten bestehenden hinreichenden Tatverdachts zu eröffnen gewesen wäre, wenn dieser nicht verstorben wäre.

Gegen die "Kostengrundentscheidung" dieses am 19. April 2007 zugestellten Beschlusses wendet sich der ehemalige Verteidiger mit der am 26. April 2007 eingegangenen sofortigen Beschwerde.

II.

Die angesichts bereits erfolgter Kostenauferlegung auf die Staatskasse nach § 300 StPO allein als Angriff gegen die Auslagenentscheidung zu wertende sofortige Beschwerde (§§ 464 Abs. 3 S. 1, 311 StPO) ist statthaft, im übrigen aber unzulässig, weil bereits die Beschwerdebefugnis fehlt.

Durch die Ablehnung der Auslagenerstattung nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO beschwert und damit beschwerdebefugt kann allenfalls der Angeschuldigte selbst sein. Die in § 467 Abs. 2, Abs. 3 StPO getroffenen Regelungen knüpfen nämlich ausdrücklich an die prozessrechtliche Stellung als Angeschuldigter an. Diese prozessrechtliche Stellung des früheren Angeschuldigten ist jedoch mit dessen Tod entfallen. Im Namen des früheren Angeschuldigten können nach dessen Tod Prozesshandlungen nicht mehr vorgenommen werden; insbesondere können in seinem Namen auch Rechtsmittel nicht mehr eingelegt werden, weil der Angeschuldigte als Prozesssubjekt und Träger der den Prozesshandlungen zugrundeliegenden Rechte nicht mehr existiert. Mit dem Versterben des Angeschuldigten hat mithin auch die Rechtsstellung des bestellten Pflichtverteidigers geendet und damit der für den Angeschuldigten bis dahin als Verteidiger handelnde Rechtsanwalt die Befugnis verloren, für den früheren Angeschuldigten Prozesshandlungen vorzunehmen (vgl. - für den Wahlverteidiger - Senat, NStZ 2004, 280 f; OLG München, NJW 2003, 1133; ähnlich BayObLG, JR 1962, 226; KG, JR 1968, 432 f; OLG Celle, NJW 1971, 2182; OLG München, NJW 1973, 1515 f; OLG München, NJW 1976, 1548; OLG Schleswig, NJW 1978, 1016; OLG Koblenz, GA 1979, 192 f; OLG Düsseldorf, NJW 1993, 546; Lüderssen in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 138 Rdn. 18; Hiebl in KMR- StPO, Stand August 2000, Vor §137 Rdn. 102: "Da es in dieser Situation nichts mehr zu verteidigen gibt, endet automatisch auch das Verteidigerverhältnis").

Der Gegenmeinung, wonach die zu Lebzeiten eingeräumte Verteidigerstellung über den Tod des Angeschuldigten hinaus fortwirke und den Verteidiger jedenfalls zur Stellung von Kosten- und Auslagenerstattungsanträgen sowie zur Einlegung von Beschwerden gegen ablehnende Entscheidungen hierzu ermächtige (so für den Pflichtverteidiger OLG Karlsruhe, NStZ - RR 2003, 286 f und für den Wahlverteidiger HansOLG Hamburg, NJW 1971, 2183 f; HansOLG Hamburg, NJW 1983, 464 f; OLG Hamm, NJW 1978, 177; OLG Frankfurt/Main, NStZ-RR 2002, 246; OLG Celle, NJW 2002, 3720 f; OLG Schleswig, SchlHA 2007, 293 f; Laufhütte in Karlsruher Kommentar-StPO, 5. Aufl., § 138 Rdn. 14; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., Vor § 137 Rdn. 7; Kühl, NJW 1978, 977, 980 f; wohl auch Julius in Heidelberger Kommentar-StPO, 3. Aufl., § 137 Rdn. 8) kann nicht gefolgt werden. Der wesentliche Kern des Verteidigerauftrags, nämlich die Aufgabe, den von strafrechtlicher Verfolgung betroffenen Beschuldigten gegen den ihm angelasteten Tatvorwurf zu verteidigen, wird durch eine solche Betrachtungsweise in ihrem Ansatz nicht erfasst. Der wesentliche Teil des Verteidigerauftrags (im laufenden Strafverfahren) ist unlösbar an die prozessrechtliche Stellung des als Beschuldigter strafrechtlich Verfolgten gebunden mit der Folge, dass der höchstpersönliche Charakter der Strafverteidigung deren postmortales Fortwirken ausschließt und sich die Annahme einer Fortwirkung der Verteidigerstellung über den Tod des Verteidigten hinaus verbietet.

Das Vorliegen der weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Auslagenbeschwerde nach den §§ 464 Abs. 3 S. 1, 304 Abs. 3 StPO kann bei dieser Sachlage dahinstehen.

III.

Die Kostentragungspflicht des Beschwerdeführers folgt aus § 473 Abs. 1 StPO (siehe dazu Senat, a.a.O.; OLG Koblenz, GA 1979,192; vgl. auch OLG Celle, NJW 2002, 3720).

IV.

Eine Gegenvorstellung gegen die angefochtene landgerichtliche Auslagenentscheidung ist mit dem Beschwerdeschriftsatz nicht erhoben worden; eine Auslegung in diesem Sinne entsprechend § 300 StPO verbietet sich bereits nach dem Wortlaut des ersichtlich zielgerichtet und bewusst als sofortige Beschwerde eingelegten Rechtsmittels des rechtskundig ehemaligen Verteidigers.

Ende der Entscheidung

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